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#72 Die Akte Johanna – Wenn er geschwiegen hätte!

Shownotes

Eine junge Frau, die gedankenverloren in einem Gerichtssaal sitzt. Ein Mann, der mit falschen Papieren auf eine lange Reise geht. Und ein Bus, der an einer Grenze angehalten wird. Heute – bei Spurlos.

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Redaktion Sylvia Lutz Natalya Prokhorenko

Ton Migo Fecke (Soundhouse Tonproduktionen GmbH)

Eine Produktion der StellaLuisa GmbH In Zusammenarbeit mit Endemol Shine Germany und Rainer Laux Productions

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Transkript anzeigen

00:00:01: Eine junge Frau, die Gedanken verloren in einem Gerichtshall sitzt.

00:00:05: Ein Mann, der mit falschen Papieren auf eine lange Reise geht und ein Bus, der an einer Grenze angehalten wird.

00:00:13: Heute bei Spurlos.

00:00:27: Guten Morgen an euch da draußen, auch an den sogenannten Endgeräten an dieser Stelle.

00:00:35: Sylvie, erst mal ein ganz wichtiger Nachtrag zu der Spurlosfolge, die wir vor zwei Wochen online gestellt hatten.

00:00:42: Darin ging es um Annette, die hat ihre beiden Brüder gesucht und da gibt es Neuigkeiten.

00:00:46: Genau.

00:00:47: Es ging um Annette, Annette hat ihre Brüder gesucht und diese Brüder hast du auch gefunden.

00:00:51: Und einer dieser Brüder, ich ist Markus, der hat gesagt, ich hatte nie eine Familie und ich brauche jetzt auch keine mehr und wollte keinen Kontakt zu Annette haben.

00:01:00: Ja, sehr schade erstmal.

00:01:01: Ja, aber Annette hat uns angerufen und sie hat gesagt, ihr Bruder Markus ist in Kontakt mit ihr getreten, er möchte jetzt doch.

00:01:09: Sie kennenlernen, ihre Schwestern kennenlernen und auch wieder etwas mit seinem Bruder zu tun haben, den er auch seit Jahren nicht mehr gesehen hat, den Frank.

00:01:17: Richtig schön.

00:01:18: Und ein guter Ausgang dieser Geschichte bei Spurlos, das ist eben auch spurlos.

00:01:23: Manchmal passiert noch was im Nachhinein.

00:01:25: Das ist natürlich dann auch immer ein bisschen die Hoffnung bei solchen Geschichten.

00:01:29: Und ja, da wir stetig jetzt noch zu wachsende Hörerzahlen haben, heißt natürlich, dass wir auch immer viele neue Zuhörerinnen haben.

00:01:42: Können wir noch mal beschreiben, was wir eigentlich bei Spurlos machen und an welchen Punkten es sich zur Fernsehsendung unterscheidet.

00:01:50: Mir war eigentlich von Anfang an wichtig und ich glaube, dir geht es genauso, dass wir die ganze Bandbreite erzählen.

00:01:58: Wir haben diese klassischen Bitte-Mäldedicht-Geschichten, also Kinder vermissen ihre Eltern, Geschwister vermissen einander.

00:02:05: Genau, und ich glaube, da muss man auch nochmal unterscheiden.

00:02:08: Wir erzählen bei Spurlos von Anfang an Bitte-Mäldedicht-Geschichten, die irgendwann vielleicht auch mal im Fernsehen gelaufen sind.

00:02:15: Aber die meisten hat man nie gesehen im Fernsehen.

00:02:18: Genau.

00:02:18: Der ganz große Teil, der hier wie eine Bitte melde, die Geschichte aufgebaut ist, nur vielleicht viel kleinteiliger und das ist ja auch das Schöne am Podcast, den hat man und wird man nie im Fernsehen sehen.

00:02:31: Und bei denen, wo wir uns entschieden haben, doch die möchten wir nochmal im Podcast aufarbeiten, ist es uns immer ganz wichtig, eine andere Perspektive nochmal, eine andere Ebene reinzubringen.

00:02:43: Wir lassen eine Mutter zu Wort kommen, die vielleicht in unserem Fernsehbeitrag gar nicht vorgekommen ist oder einen Bruder dessen Schicksal uns bewegt hat, der aber für die Sendung, für bitte melde dich, gar nicht relevant war.

00:02:55: Also bei einer Adoptivgeschichte wäre es dann zum Beispiel die Adoptivmutter.

00:02:59: Das wäre jetzt so ein klassisches Beispiel, die wahrscheinlich in der Sendung je nachdem aus Zeitgründen gar nicht stattfinden könnte oder würde.

00:03:07: Und dann erzählen wir die Geschichte aus ihrer Perspektive.

00:03:09: Das ist, finde ich, ein ganz großer Unterschied zur Sendung.

00:03:13: Und dann haben wir den Bereich Cold Cases oder auch True Crime.

00:03:18: Und auch da versuchen wir, selbst bei Fällen, die man vielleicht aus den Medien sehr eingehen kennt, auch da versuchen wir immer jemanden zu unserem Hauptakteur oder zur Hauptperspektive zu machen.

00:03:33: den man vielleicht so noch nicht wahrgenommen hat.

00:03:37: Und wir versuchen, das klingt abgedroschen, aber es ist uns ganz wichtig, Opfern eine Stimme zu geben.

00:03:43: Manchmal mit Such aufrufen, aus der Sendung rauszugehen, vielleicht können unsere Hörer auch helfen.

00:03:49: Ja und du sagst, Opfern eine Stimme geben und das im wahrsten Sinne des Wortes, das ist auch ein Unterschied.

00:03:57: zu anderen Macharten von Podcasten, ohne das jetzt negativ oder positiv zu bewerten, nur als Einordnung für euch neue.

00:04:06: Bei uns gibt es immer die echten Beteiligten, also mindestens eine, der hier zu Wort kommt.

00:04:15: Das ist uns sehr wichtig.

00:04:16: Das bedeutet natürlich eine große Vorrecherche, weil wir die dementsprechenden Gespräche und Interviews führen und die werden hier in den Podcast eingefügt.

00:04:26: Und die führen durch die Geschichte.

00:04:29: Und das war Podcast von Sendung Null an.

00:04:32: Diese Bandbreite, wenn es um vermisste Menschen geht, in welcher Form, dann ist es spurlos.

00:04:39: Und so ist es heute auch wieder.

00:04:41: Wieder eine ganz anders gelagerte Geschichte.

00:04:45: Zu heutigen Geschichte ist mir ein Spruch eingefallen.

00:04:48: Sehe, wie den ich mal gelesen habe.

00:04:50: Der heißt ungefähr so... Die Begegnung mit einem Menschen, die kann für einen Augenblick dauern, aber ein Leben lang nachwirken.

00:04:59: Das passt sehr schön.

00:05:02: Darum geht es heute.

00:05:03: Es gibt Menschen, die treten nur für eine ganz begrenzte Zeit in das Leben eines anderen.

00:05:08: Sie bleiben nicht lange und manchmal sind es Stunden, Tage oder nur ein paar Wochen und dann verschwinden sie wieder.

00:05:14: Aber sie hinterlassen Spuren und zwar ein Gefühl von Aufbruch und von Veränderungen.

00:05:21: und dass das eigene Leben jetzt eine ganz neue Richtung einschlägt.

00:05:25: Und das erlebt Johanna, die uns heute ihre Geschichte erzählt.

00:05:33: Ein großer Reisebus steht mitten im Hof.

00:05:36: Runterum drängen sich viele Menschen.

00:05:38: Sie stehen dicht beisammen und sie sind aufgeregt und sie sind nervös.

00:05:43: Ihre Gesichter sind angespannt, ihre Bewegungen sind hastig und suchend.

00:05:48: Nur der Busfahrer ist ganz ruhig und rotiniert.

00:05:51: Er greift nach Taschen, hilft beim Einsteigen, aber er sagt kein Wort.

00:05:56: Niemand sagt hier ein Wort.

00:05:57: Es ist ganz still in diesem Hof.

00:06:00: Etwas abseits steht eine junge Frau.

00:06:03: Sie ist Anfang zwanzig und sie wartet darauf, dass sie an der Reihe ist.

00:06:07: Sie wartet darauf, dass sie in diesen Bus einsteigen kann.

00:06:11: Wohin die Reise geht, daran wagt die junge Frau nicht zu denken, nicht jetzt.

00:06:17: Die junge Frau heißt Johanna und sie blickt sich immer wieder suchend um.

00:06:22: Als würde sie auf jemanden warten.

00:06:24: Auf jemanden, der noch nicht hier ist und der vielleicht auch gar nicht kommen wird.

00:06:30: Dann winkt der Busfahrer Johanna zu.

00:06:32: Er deutet auf die offene Busstür.

00:06:35: Die meisten sind längst eingestiegen.

00:06:37: Es ist Zeit.

00:06:38: Johanna blickt sich ein letztes Mal um.

00:06:41: Vielleicht kommt sie ja doch noch.

00:06:43: Die Person, auf die sie wartet.

00:06:45: Im allerletzten Moment.

00:06:46: Es würde zu ihr passen, denn sie liebte Überraschungen.

00:06:51: Dieses plötzliche Auftauchen, wenn niemand mehr damit rechnet.

00:06:55: Aber nichts passiert.

00:06:57: Johanna geht zur Busstür.

00:06:59: Sie steigt ein und sie setzt sich auf einen freien Fensterplatz.

00:07:03: Wenige Minuten später fährt der Bus los.

00:07:06: Johanna sieht aus dem Fenster und sie beginnt zu weinen.

00:07:10: Der Mensch, auf den sie eben vergeblich gewartet hat, der wird immer ein Teil von ihr bleiben.

00:07:16: In ihren Gedanken, in ihren Erinnerungen und vielleicht auch in ihren Träumen.

00:07:22: Aber Johanna ahnt in diesem Bus schon, dass dieser Moment eben gerade auf dem Hof die letzte Möglichkeit gewesen wäre, um sich noch einmal zu begegnen.

00:07:33: Viele Jahre später wird Johanna sich auf die Suche machen.

00:07:36: Doch es gibt keine Spur.

00:07:39: keinen Namen, keinen Ort und kein Lebenszeichen.

00:07:43: Die Person, die damals nicht da war, als der Bus losfuhr, die ist spurlos verschwunden.

00:07:57: Ja, Johanna fährt in diesen Bus ins Ungewisse, denn das hier ist keine Urlaubsreise.

00:08:03: Hinter Johanna liegt eine schreckliche Zeit und was sie erwartet, wenn die Türen dieses Buses sich das nächste Mal wieder öffnen, das weiß Johanna nicht.

00:08:12: Aber noch fährt der Bus und Johanna schaut aus dem Fenster.

00:08:18: Natürlich hab ich dran gedacht, was mit den anderen passiert, ob sie das auch geschafft hat.

00:08:23: Jedenfalls sie war nicht in diesem Bus.

00:08:26: Also was wir da in dieser Situation gemeinsam so erlebt haben, dass man da so Schicksale erfährt, die ein das ganze Leben noch mitverfolgen.

00:08:41: Ja, es gibt viele.

00:08:42: Bilder und Erinnerungen, die Johanna bis heute verfolgen.

00:08:46: Und obwohl ja diese Fahrt mit dem Bus schon über fünfzeig Jahre her ist, weiß Johanna heute noch ganz genau, dass sie damals sehr, sehr aufgeregt war und dass sie vor lauter Angst eigentlich kaum atmen konnte.

00:08:59: Aber wie kam Johanna in diesem Bus?

00:09:02: Und vor allem fragt man sich ja sofort, wer fehlte denn damals an ihrer Seite?

00:09:06: Und um das alles verstehen zu können, müssen wir weit zurück und zwar ins Jahr.

00:09:14: Ja, denn hier beginnt unsere Geschichte, Ende der sechziger Jahre in Berlin.

00:09:19: Denn hier lebt Johanna.

00:09:20: Johanna ist neunzehn Jahre alt und sie ist erst vor ganz kurzer Zeit nach Berlin gezogen.

00:09:25: Sie stammt aus Thüringen, aus Gera.

00:09:28: Dort hat sie vor einigen Monaten die Schule beendet und dann ihre Koffer gepackt.

00:09:32: Denn in Berlin wartete ein Studienplatz auf sie.

00:09:35: Und da ist sie nun in Berlin, also um genau zu sein, in Ostberlin.

00:09:40: Genau, und sie studiert da jetzt, das muss ich ablesen, Außenhandelsökonomie, eigentlich wäre sie wahnsinnig gern Lehrerin geworden, aber sie bekam einfach eben diesen Studienplatz zugewiesen.

00:09:52: Und die ersten Wochen in Berlin wohnt Johanna noch in einem Studentenwohnheim, aber dann ergibt sich eine wunderbare Möglichkeit.

00:10:00: Eine Freundin von mir, die in Gera in meiner Abbie-Klasse war, die hat in Berlin Weißensee an der Kunsthochschule studiert und die hat eine kleine Wohnung und zu der bin ich dann gezogen.

00:10:12: Weißensee ist ein Ortsteil zur Erklärung vom Panko in Berlin.

00:10:17: Also wenn man die berühmte Berliner Allee statt auswärts fahren würde, dann kommt man direkt nach Weißensee.

00:10:24: Johanna ist eine sehr zurückhaltende und eine schüchterne junge Frau.

00:10:28: Sie ist sehr behütet aufgewachsen bei ihren Eltern.

00:10:31: Da war immer alles sehr geordnet und sehr angepasst, hat sie erzählt.

00:10:35: Aber hier in Berlin taucht Johanna jetzt in eine völlig neue Welt ein.

00:10:39: Alles ist viel schneller, lauter.

00:10:42: aufregender als zu Hause in Gera.

00:10:45: Die jungen Menschen hier in Ostberlin, die hören heimlich Westradio.

00:10:49: Und Johanna hört zum ersten Mal in ihrem Leben die Beatles.

00:10:53: Das ist wahrscheinlich ein entscheidendes Erlebnis gewesen.

00:10:57: Dann die Rolling Stones und dann noch The Doors.

00:11:00: Manchmal besucht sie mit ihrer Freundin auch geheime Partys, die in leer stehenden Gebäuden irgendwo in der Stadt veranstaltet wurden.

00:11:09: Aber meistens muss Johanna auch gar nicht weit fahren, um eine Party zu besuchen, den sie wohnt mit ihrer Freundin, also mit ihrer ehemaligen Schulkameradin Oskira, sehr zentral.

00:11:20: Weißenssee, das war so ein Ort, wo in Ostberlin die Partyszene halt sehr aktiv war, sag ich mal.

00:11:30: Da gab es Schriftsteller und Liedermacher und Leute, die total interessant waren.

00:11:39: habe ich natürlich dann auch irgendwann, als ich da hingezogen bin, für ein Studium ein bisschen vernachlässigt.

00:11:46: Ich finde, es hört sich sehr cool an.

00:11:47: Ich sehe es vor mir.

00:11:48: Da ist dieses junge Mädchen, das jetzt ins Leben reinfällt, eigentlich ein junges Mädchen, das von all dem, was dieses Ostberlin damals zu bieten hat, so richtig überwältigt ist.

00:12:00: Ja, und Johanna genießt Berlin.

00:12:02: Alles ist neu und aufregend hier.

00:12:05: Und hier in Berlin sieht sie auch zum ersten Mal die Mauer.

00:12:08: Natürlich wusste Johanna immer, dass es die Mauer gibt, das ist ja klar.

00:12:11: Aber sie hat sich nie wirklich Gedanken darüber gemacht.

00:12:14: Johanna kommt aus einem Haushalt, in dem wenig über Politik gesprochen wurde.

00:12:19: Also Politik gehörte einfach nicht zum Familienalltag im Haus ihrer Eltern.

00:12:23: Ich glaube, das hören wir auch immer wieder von damals jungen Menschen, die irgendwo in der DDR gelebt haben.

00:12:29: Verstehe ich auch, wenn die Familie nicht politisch war, war das nicht so.

00:12:32: deine Lebenswirklichkeit je nachdem.

00:12:35: Zwar halt so.

00:12:37: Johanna hat ein paar Tanten in Westdeutschland, aber was ist jetzt wirklich bedeutet, dass Deutschland geteilt ist?

00:12:43: Darüber hat sie bis dahin nie nachgedacht.

00:12:46: Diese innerdeutsche Grenze war für Johanna eigentlich immer nur so eine Linie auf der Landkarte.

00:12:52: Sie war also kein spürbarer Einschnitt in ihrem Leben.

00:12:57: Als Kind habe ich halt den Westen immer so erfahren von den Verwandten und die die uns Westpakete geschickt haben und so.

00:13:06: Und als ich dann in Ostberlin anfing zu studieren, da war die Situation halt so, dass der Westen plötzlich praktisch vor der Tür stand.

00:13:15: Am Brandenburger Tour konnte man irgendwann mal nicht weiterlaufen, weil das dann der Westen war.

00:13:21: Und da war das natürlich auch sehr präsent.

00:13:26: Bis jetzt hatte die Grenze also nichts mit Johannes Alltag zu tun.

00:13:30: Sie war einfach da.

00:13:31: irgendwo weit weg ohne Bedeutung für ihr Leben.

00:13:34: Doch das wird sich ändern.

00:13:37: Johanna ahnt noch nicht, dass diese Grenze bald ganz real in ihr Leben treten wird und dass ein Albtraum auf sie wartet.

00:13:46: Sehe wie noch mal vielleicht zu Johannes Eltern.

00:13:48: Wie ist Johanna da aufgewachsen?

00:13:50: Wo kommt sie her?

00:13:52: Johanna ist sehr behütet aufgewachsen.

00:13:53: Ihre Eltern sind sehr liebevoll.

00:13:55: Johannes Vater arbeitet in einer Fabrik in Gera und ihre Mutter ist Pflegerin in einem Krankenhaus und Johannes hat noch einen jüngeren Bruder.

00:14:04: Ihre Eltern sind sehr angepasst, aber sie sind nicht in der Partei und Johannes selbst war als Kind bei den jungen Pionieren.

00:14:12: Das ist eine politische Organisation gewesen für Kinder.

00:14:16: Aber als Johanna älter wurde, interessierte sie sich doch mehr für ihre Bücher und für ihre Freundinnen als für den Sozialismus.

00:14:22: Und deshalb hat sie die Pioniere dann wieder verlassen.

00:14:25: Und für ihre Eltern war das alles völlig in Ordnung.

00:14:28: So, jetzt ist also Johanna in Berlin, wohnt da in einer WG mit der Freundin, die aus Gera auch stammte.

00:14:34: Sie besucht tagsüber Seminare an der Hochschule.

00:14:38: Sie hört eben heimlich die Westmusik, abends feiert sie Partys wie alle Studenten.

00:14:43: Aber jetzt fehlt natürlich noch etwas in diesem aufregenden Abschnitt im erwachsenen Leben.

00:14:50: Ja klar, die Liebe fehlt noch.

00:14:53: Aber auch die Liebe kommt.

00:14:55: Denn Johanna lernt Matthias kennen.

00:14:58: Einen jungen Medizinstudenten.

00:15:00: Matthias ist... sehr selbstsicher, also anders als sie.

00:15:04: Er ist gebildet, er wirkt irgendwie so ganz weltgewandt, sehr offen.

00:15:09: Er weiß, was er will und er weiß auch, was er nicht will.

00:15:12: Er stammt aus einer anscheinend sehr gut situierten Familie und er erzählt Johanna, dass er bei seinen Eltern in einer alten Villa in Köpenick aufgewachsen ist.

00:15:23: Dem ging es total gut.

00:15:24: Wir hatten in Gerra eine Mietwohnung.

00:15:26: Mein Vater ist immer mit dem Fahrrad zur Arbeit gefahren.

00:15:30: Die hatten nie ein Auto.

00:15:33: Der hatte das alles und hat sich trotzdem fand das so schlimm, dass er aus der DDR fliehen wollte.

00:15:40: Johanna ist ganz frisch verliebt.

00:15:42: Sie schwebt auf Wolke sieben, wie man sagt.

00:15:45: Aber in diesem Moment legt sich eigentlich schon, das wissen wir ganz sachte, eine Unsichtbare Schlinge um ihr Leben.

00:15:52: Denn Matthias, der junge Medizinstudent, der will weg.

00:15:56: Der will raus, der will die DDR verlassen.

00:15:59: Und Johanna ist natürlich völlig klar, was das bedeutet.

00:16:02: Sie weiß, dass schon der Versuch, die DDR heimlich zu verlassen und auch die Planung oder Vorbereitung einer Flucht als Verbrechen gelten.

00:16:12: Die sogenannte Republikflucht wird in der DDR als schwere Straftat behandelt.

00:16:17: Und die Strafen dafür, die sind brutal.

00:16:20: Und sie treffen nicht nur die, die bei einem Fluchtversuch aufgegriffen werden, sondern oft auch ihre Familien und Freunde, Gefängnis, schikane gesellschaftliche Ausgrenzung.

00:16:30: Der Staat kennt da keine Gnade.

00:16:32: Ja, und das ist ja genau das System des Staates.

00:16:35: Also jeder Bürger der DDR ist verpflichtet, sofort die Behörden zu informieren, wenn er erfährt, dass jemand das Land illegal verlassen will.

00:16:44: Ganz gleich, ob es sich nur um eine vage Absicht, um ein Stammtischgespräch oder um konkrete Pläne handelt.

00:16:53: Schweigen ist strafbar und bespitzeln wird fossiert.

00:17:01: Johanna weiß, dass Matthias fliehen möchte, aber natürlich meldet sie das dem Behörden nicht.

00:17:06: Also sie ist verliebt, das ist ja gar keine Frage, sie schützt ihren Freund.

00:17:10: Ja, aber Matthias umgekehrt, der schützt Johanna nicht und zwar kein bisschen.

00:17:16: Denn wenn er wirklich ihr Bestes gewollt hätte, also wenn er sie wirklich hätte beschützen wollen, dann hätte er sie niemals in seine Fluchtpläne eingeweiht.

00:17:25: Dann hätte er Johanna außen vorgelassen, statt sie in Gefahr zu bringen.

00:17:29: Okay, aber hätten wir jetzt kein sogenanntes Herrschaftswissen.

00:17:32: Also wir wären jetzt einfach an den Punkt und hören diese Geschichte bis zu dem Punkt.

00:17:36: Da würde ich ja jetzt schon sagen, das sehe ich anders, weil die sind frisch verliebt.

00:17:41: Ich kenne jetzt Matthias Gefühle nicht, aber wahrscheinlich war er ja auch verliebt, hoffe ich mal.

00:17:46: Und dann würde ich auch aus meinem Herzen jetzt keine Mördergrube machen, sondern würde sagen, ich will fliehen und ich will hier weg und wenn es normal auch das mein Typ mir das alles erzählt.

00:18:00: Ja, aber das hier ist die DDR und ich würde sogar noch einen Schritt weitergehen und sagen, Matthias hätte am besten gar keine Beziehung mit Johanna anfangen sollen oder sogar.

00:18:10: Dürfen.

00:18:11: Wenn er das schon gewusst hat.

00:18:12: Ja, da hast du den Teich recht.

00:18:13: Die Gesetze kannte er.

00:18:15: Er wusste, dass es vielleicht schwierig werden würde für sie.

00:18:18: Ja, vor allem ich nehme ihn jetzt so in Schutz, aber auch nur, weil ich so tue.

00:18:23: Als müssten wir nicht, was in der Zukunft passiert.

00:18:27: Also es ist aber jetzt so, wie es ist.

00:18:28: Johanna ist mit Matthias zusammen und sie weiß alles über seine Fluchtpläne.

00:18:34: Wie übrigens auch, Johannes Mitbewohnerin, ihre alte Freundin aus Gera.

00:18:39: Der berichtet Matthias offensichtlich auch alles, was er plant.

00:18:44: Nach ein paar Monaten wird die Beziehung zwischen Johanna und Matthias zunehmend schwieriger.

00:18:51: Also ich war in dem total verliebt und das hat aber nicht lange gehalten.

00:18:58: Da sah halt ganz toll aus und da hat auch viele Angebote von Mädchen oder Jungs gehabt und so.

00:19:08: Und jedenfalls war das zu Ende.

00:19:11: Ich kann mir total gut vorstellen, was dieser Matthias für ein Typ war.

00:19:15: Er bringt auch diese selbstverständliche, die solchen sagen, die Selbstbewusstsein mit, was manche mitbringt, die aus so einer gut situierten Familie damals, glaube ich, kam.

00:19:27: Und das fällt ihr wahrscheinlich, da sie aus so bescheidenen Verhältnissen kam noch mehr auf.

00:19:31: Also das ist so very charming, scheint da gewesen zu sein.

00:19:37: Johanna und Matthias sind also nun kein Paar mehr, aber die Wege trennen sich trotzdem nicht.

00:19:44: Aber wir waren noch gut befreundet.

00:19:47: Und er hat mir dann gesagt, dass er versucht zu fliehen.

00:19:53: Und er hat mir dann auch gesagt, dass Einzelheiten.

00:19:57: Er hatte eine Beziehung zu einem jungen Mann in Westberlin.

00:20:03: Der sah so ähnlich aus wie er.

00:20:06: Und dessen Mutter hat für ihn einen neuen Passbeantrag?

00:20:14: Übrigens, weil ich schon wichtig finde, wir bewerten auf keinen Fall negativ, dass er grundsätzlich fliehen wollte.

00:20:22: Also es gab nun mal Menschen, die hatten diesen Freiheitstrang.

00:20:25: Ich kann das sehr, sehr gut nachvollziehen.

00:20:27: Und andere, die ihn nicht hatten.

00:20:30: Also das ist ja gar nicht die Frage hier, was wir kritisieren ist.

00:20:34: warum er so viel darüber gesprochen hat, weil er sich der Gefahren für die Leute, mit denen er spricht, bewusst sein musste eigentlich.

00:20:44: Darum geht's.

00:20:45: Was genau plant Matthias Dinder?

00:20:47: Ja, Johann hat das ja eben schon angedeutet.

00:20:49: Matthias kennt einen jungen Mann in Westberlin, der ihm äußerlich sehr ähnlich sieht.

00:20:54: Und die Mutter dieses Bekannten, die hat für ihren Sohn einen neuen Reisepass ausstellen lassen.

00:21:00: Und dieser Pass soll aber nicht für ihren Sohn sein, sondern für Matthias.

00:21:04: Und diese Familie aus Westberlin, die schmuggelt diesen neuen Reisepass dann in die DDR.

00:21:09: Und so gelang Matthias schließlich in den Besitz eines Reisepasses der Bundesrepublik Deutschland.

00:21:15: Ja, das ist natürlich ein Wahnsinn, ein Joker, ein Freifahrtsschein, wenn es klappen würde.

00:21:21: Mit einem Pass der Bundesrepublik eröffnen sich natürlich völlig neue Möglichkeiten für Matthias.

00:21:27: Denn jetzt könnte er die Grenze zum Westen ganz offiziell und legal überqueren.

00:21:33: Und genau das hat Matthias natürlich auch vor.

00:21:37: Er plant, von Ostberlin aus nach Bulgarien zu fahren.

00:21:40: Das darf er, denn Bulgarien gehört zu den Ostblockländern und die Bürger der DDR.

00:21:46: Die dürfen diese Länder, also die zu der sogenannten sozialistischen Staatengemeinschaft gehören, ganz offiziell bereisen.

00:21:53: Also das bedeutet, in Schritt eins kann er ja mit seinem echten Pass, also mit seinem DDR-Papieren, Ganz legal auch nach Bulgarien reißen.

00:22:02: das darf er.

00:22:03: Exakt.

00:22:04: Und er plant dann in Bulgarien den Reisepass und damit seine Identität zu wechseln.

00:22:10: Seine Identität und damit nach DDR-Recht seine Nationalität.

00:22:16: Genau.

00:22:17: Und in Bulgarien wird nämlich dann aus dem DDR-Bürger Matthias, ein junger Mann aus Westberlin, der ein paar Tage in Bulgarien verbracht hat und jetzt nach Wien fliegen möchte.

00:22:29: Der Flug vom Bulgarien nach Wien, der ist wahrscheinlich auch schon im Vorfeld gebucht worden.

00:22:34: Ja, den haben die Freunde aus dem Westen schon gebucht, und zwar auf den Namen ihres Sohnes, dessen Reisepass und dessen Identität Matthias ja jetzt benutzen wird.

00:22:43: Ein irrer Plan, aber auch extrem riskant.

00:22:47: Denn wenn die Flucht aufliegt, dann landet Matthias im Gefängnis.

00:22:51: Und die Gefängnisse der DDR, die sind brutal.

00:22:54: Isolation, Zwangsarbeit, ständige Überwachung, psychischer Druck.

00:22:59: Wer dort einmal hineingerät, der kommt nicht als derselbe Mensch wieder heraus.

00:23:04: Ich weiß es sehr gut.

00:23:06: Ich habe darüber auch schon berichtet, wir haben selber einen Fall, einen Onkel in der Familie.

00:23:13: Das ist übrigens über den gleichen Fluchtweg gescheitert dann.

00:23:17: Habe ich es schon mal drüber berichtet.

00:23:19: So, aber zurück zu Matthias.

00:23:22: Sehr riskant, aber... Auch bis ins kleinste Detail durchdacht.

00:23:27: Und Johanna geht davon aus, dass ihr Freund Matthias aus Sicht der Behörden irgendwo in Bulgarien Spurlus verschwinden wird.

00:23:34: Denn von dort aus wird er ja unter falschem Namen in den Westen reisen.

00:23:39: Das Geniale an diesem Plan, niemand wird jemals mit Sicherheit sagen können, was wirklich mit Matthias Geschehen ist.

00:23:48: Er hätte in Bulgarien einen Unfall haben können, er könnte überfallen oder entführt worden sein.

00:23:54: Also wie so ein Cold Case, könnte ein spurlos Cold Case werden.

00:23:58: aus Sicht der DDR, eine Republikflucht wäre ihm ja eigentlich de facto gar nicht nachzuweisen.

00:24:05: wenn der Plan gelingt.

00:24:07: Und das ist deshalb so entscheidend, weil in der DDR auch die Angehörigen von Republik Flüchtigen oft schwersten Repressalien ausgesetzt waren.

00:24:15: Ja, das ist das Druckmittel.

00:24:16: Genau, so eine stellvertretende Bestrafung zur Abschreckung.

00:24:20: Also auch Familienmitglieder und Freunde, die selbst gar nicht versucht hatten zu fliehen, mussten mit Konsequenzen rechnen.

00:24:27: Sie verloren ihre Arbeits- und ihre Studienplätze.

00:24:30: Sie wurden von der Stadtsicherheit überwacht, verhört und oft gesellschaftlich isoliert.

00:24:35: Hatte ja auch den wunderbaren Vorteil für diesen Staat, dass das auch als Abschreckung gehen soll.

00:24:41: Das siehst du mal, was passiert, wenn man flieht.

00:24:44: Ja.

00:24:45: Kommt du selber bloß nicht auf die Idee.

00:24:48: Johanna kennt jede Einzelheit des Fluchtplans.

00:24:51: Und da sie ja mit Matthias eng befreundet ist und auch oft mit ihm und seinen Freunden unterwegs ist, weiß sie auch ganz genau, wer noch alles in seine Pläne eingeweiht ist.

00:25:02: Und man kann ganz klar sagen, das sind viele.

00:25:06: Also, dieser Matthias scheint sehr unbesorgt mit all seinen Freunden über seine bevorstehenden Pläne gesprochen zu haben.

00:25:13: Im Herbst, da ist es dann soweit.

00:25:16: Matthias verabschiedet sich von seinen Freunden.

00:25:19: Johanna und er umarmen sich ein letztes Mal.

00:25:22: Beide wissen, dass sie sich nie wiedersehen werden.

00:25:25: Matthias wird unter falschem Namen nach Österreich ausreisen in die Freiheit.

00:25:30: Johanna bleibt in der DDR.

00:25:32: Der Abschied fällt ihr schwer, sehr schwer.

00:25:35: Sie ist traurig und sie macht sich Sorgen, ob Matthias Fluch gelingen wird.

00:25:40: Johanna hört dann in den Wochen nach Matthias' Abreise nach Bulgarien nichts mehr von ihm, keine Nachricht und kein Lebenszeichen.

00:25:49: Aber Johanna weiß, dass sie jetzt niemandem fragen stellen darf, denn damit würde sie Matthias Familie und auch seine Freunde in Gefahr bringen.

00:25:55: Und sich selbst auch.

00:25:57: Johanna ist eine sehr vorsichtige und auch eine sehr ängstliche junge Frau.

00:26:01: Aber sie hofft darauf, dass Matthias nichts passiert ist.

00:26:05: Denn der Fluchplan, das weiß sie ja ganz genau, der war ja eigentlich absolut sicher.

00:26:10: Also der Plan, der wär sicher gewesen, wenn Matthias sich daran gehalten hätte.

00:26:15: Ja, der Plan war perfekt auf dem Papier, sag ich mal.

00:26:19: Aber ein perfekter Plan nützt nichts, wenn jemand beginnt, diesen Plan plötzlich zu ändern.

00:26:25: Johanna, die davon ausgegangen ist, nie wieder etwas von Matthias zu hören, die erhält dann plötzlich doch noch ein Lebenszeichen von ihm, denn jemand klopft an ihre Türe.

00:26:38: Irgendwann kamen zwei Stasibeamte zu uns in Weißensee in die Wohnung.

00:26:45: Da wurden wir erst mal nur von der Stasi befragt.

00:26:50: Johanna erfährt, dass Matthias Flucht in den Westen geglückt ist.

00:26:53: Doch es gibt ein Problem.

00:26:55: Matthias hätte alleine reisen sollen.

00:26:57: So sah das der Fluchtplan vor.

00:27:00: Aber er hatte in letzter Minute etwas geändert.

00:27:02: Er nahm nämlich seine neue Freundin mit nach Bulgarien.

00:27:07: So, jetzt kriege ich langsam ein Holz auf Matthias.

00:27:09: Das merke ich jetzt gerade bei mir schon, dass das so ein bisschen hoch steigt.

00:27:13: Offensichtlich hatten die beiden ganz spontan beschlossen, zusammen zu fliehen.

00:27:17: Matthias konnte in Bulgarien das Flugzeug nach Wien problemlos besteigen.

00:27:21: Aber seine Freundin, die hatte keine westdeutschen Papiere und wurde dementsprechend aufgegriffen, als sie versuchte, am Board des Flugzeugs zu kommen.

00:27:32: Dann wurde die verhaftet und an die DDR ausgeliefert.

00:27:37: Und die hat dann auch alles, was sie wusste, erzählt.

00:27:40: Und die hat auch, die hat erzählt, dass viele Leute davon wussten von dieser Flucht.

00:27:45: Bei mir war das dann so, dass an meiner Hochschule sind zehn Leute, sind dann exmatrikuliert werden, weil sie da halt auch Kenntnis davon hatten.

00:27:57: Ja, Matthias ist zu dem Zeitpunkt schon längst in Sicherheit im Westen.

00:28:00: Aber seine Freundin, also seine neue Freundin, die ist jetzt in Untersuchungshaft in Ostberlin und sie erzählt den Stasi-Mitarbeitern jetzt alles, was sie weiß.

00:28:10: Sie ist es, die die Namen der zehn Studenten nennt, die nun ihr Studium für immer abbrechen müssen, weil sie über Matthias Fluchtpläne Bescheid wussten.

00:28:20: Und diese Freundin nennt im Verhör auch Johannas Namen.

00:28:24: Zunächst ist den Mitarbeitern der Stasi nicht ganz klar, wie detailliert Johanna in die Planung von Matthias Flucht eingeweiht war.

00:28:30: Deshalb bleibt es erst mal bei einfachen Befragungen, aber dann hört Johanna, dass die Stasi einen Brief von Matthias abgefangen hat, einen Brief aus dem Westen, in dem Matthias ihr, also Johanna, geschrieben hat, dass er gut angekommen ist und dass alles nach Plan gelaufen ist.

00:28:47: Okay, jetzt habe ich wirklich einen Kanal offen auf diesen Typen.

00:28:51: Wie blöd kann man denn sein?

00:28:54: Also es ist doch logisch, was da passiert.

00:28:57: Sämtliche Post wurde durchgesehen.

00:28:59: Vor allem Johannes Post.

00:29:00: Ja, muss er doch gewusst haben.

00:29:06: Der Typ ist echt, ach nee, wir piepen heute nix.

00:29:09: Ich sag's einfach nicht, was der für mich ist, ehrlich.

00:29:12: So, er hat Johanna und all die anderen eigentlich ans Messer geliefert und es muss ihm auch klar gewesen sein.

00:29:18: Und jetzt ändert sich die Situation für Johanna natürlich schlagartig.

00:29:23: Ich war in der Uni, ich war im Handelsrussisch-Seminar und da kamen zwei Beamte der Stasi und haben der Dozentin gesagt, dass sie mich mitnehmen müssen zu einer Befragung.

00:29:41: Und gleichzeitig, das habe ich erst später erfahren, wurde meine Freundin aus der Wohnung mitgenommen auch zu einer Befragung.

00:29:51: Ja und da ist sie jetzt wieder die Schlinge und jetzt zieht sie sich endgültig zu.

00:29:56: Johanna weiß, dass ihre Mitbewohnerin zeitgleich auch befragt wird, aber natürlich sehen die beiden sich nicht.

00:30:02: Johanna findet sich in einem Raum wieder, der kahl ist und vergittert und den sie als absolut trostlos empfindet.

00:30:09: Die Mitarbeiter der Stasi wollen jetzt alles wissen, vor allem wollen sie, dass Johanna Namen nennt.

00:30:15: Wer wusste von Matthias Fluchtplänen?

00:30:17: Wer hat geholfen und wer war eingeweiht?

00:30:20: Und das machen sie natürlich auch mit Kalkül rausreißen aus diesem Seminar direkt ins Verhör.

00:30:26: Stunde um Stunde setzen die Mitarbeiter Johanna unter Druck.

00:30:29: Die Vernehmer wechseln sich ab.

00:30:31: Sie stellen immer dieselben Fragen.

00:30:33: Mal ruhig, mal aggressiv, mal drohend.

00:30:36: Johanna ist eine junge Frau.

00:30:38: Sie ist gerade mal neunzehn Jahre alt.

00:30:40: Und sie hat Angst.

00:30:41: Sie hat ganz große Angst.

00:30:42: Sie ist keine Kämpferin.

00:30:44: Sie ist auch keine Heldin.

00:30:45: Sie ist eine stille Frau.

00:30:47: Jemand... der normalerweise überhaupt nicht auffällt und halt auch nicht auffallen möchte.

00:30:52: Sie weint während des ganzen Verhörs viele Stunden lang.

00:30:56: Oft kann sie gar nicht sprechen, erzählt sie uns, weil sie so weinen muss, aber irgendetwas in ihr bleibt dann doch ein bisschen trotzig und standhaft.

00:31:05: Johanna weiß selbst nicht, woher sie den Mut nimmt, den Mitarbeitern der Stasi ins Gesicht zu lügen.

00:31:11: Denn Johanna behauptet, dass sie nichts weiß.

00:31:14: Sie verrät niemanden und sie kennt keinen Namen, sagt sie.

00:31:19: Dann wurde auch gesagt, ihre Freundin hat schon viel mehr erzählt als wir, die hat alles gestanden.

00:31:26: Die wollten wissen, ob wir da Bescheid wussten über die Flucht und so.

00:31:32: Und dann abends, als es nach mehreren Stunden Verhandlungen am ganzen Tag oder Befragung und Verhören, da ist mir eröffnet worden, dass ich in Untersuchungshaft bleiben müsste.

00:31:48: Das Verhör hat sieben Stunden gedauert, Johanna ist völlig erschöpft und sie ist verzweifelt.

00:31:54: Sie ist davon ausgedankt, dass sie nach der Vernehmung wieder nach Hause darf, in ihre Wohnung nach Weißensee.

00:32:00: Als Johanna erfährt, dass sie in Untersuchungshaft bleiben muss, da hat sie das Gefühl, dass alles über ihr zusammenbricht.

00:32:08: Und daraufhin kam ich in so einen anderen Trakt, da war ich in so einen kleinen Raum, musste alles ausziehen und wurde fotografiert und hab dann so ... Trainingsansuche und ein graues Hemd gekriegt und irgendein komischer Unterwäscher.

00:32:29: und so musste alles abgeben und wurde dann in eine Zelle geführt.

00:32:34: und da war es dann schon abends und das war ganz schlimm.

00:32:40: Ja, ganz schlimm.

00:32:41: Also stellst du dir mal wirklich vor, du bist ein Studentin, sitzt da, hockst da in deinem Seminar, bist ganz normales junges Mädel und von einer Sekunde auf die andere wirst du da rausgerissen, du wirst in Gefängniskleidung in eine Zelle gebracht und dann dreht sich der Schlüssel.

00:32:59: Johanna ist also jetzt umgezogen, sie trägt die graue Einheitskleidung des Gefängnisses der Untersuchungshaftanstalt Panko, so hieß die.

00:33:09: Und sie wird durch lange, kale Flure geführt.

00:33:12: Niemand spricht mit ihr.

00:33:14: Und Johanna kann auch einfach nicht aufhören zu weinen.

00:33:17: Vor einer Türe bleiben sie und ihre, ja, die Werterin schließlich stehen.

00:33:21: Und Johanna wird einfach in die Zelle geschoben.

00:33:25: Als diese schwere Metalltür entschlossen gefallen ist, da hab ich gedacht, was ist denn jetzt los?

00:33:31: Und diese Zelle, ja, das war halt wie im Film.

00:33:36: Steinen.

00:33:37: Fußboden.

00:33:39: In Augenhöhe war die Wand in einem hässlichen Grün gestrichen mit Lack.

00:33:47: Es war halt eine kleine Gefängniszelle und ich habe auch erst gar kein Bett gesehen.

00:33:55: Die Betten wurden mit einem Schloss an die Wand geschlossen.

00:33:59: Die wurden hoch gemacht.

00:34:02: Was ja dann ganz Schlimmes in der Situation ist, diese Ungewissheit.

00:34:06: Sie weiß ja gar nicht, was passiert und damit spielen die ja auch mit dieser Willkür.

00:34:11: Aber eigentlich in dem Fall fast schon gut, dass Johanna zum Beispiel an dem Punkt noch gar nicht ahnen kann, dass sie nie wieder nach Weißensee in ihre eigene Wohnung zurückkehren wird.

00:34:22: Johanna ist richtig verzweifelt und sie kann vor Angst kaum atmen.

00:34:29: und wollte nur noch erst mal schlafen und dachte, das kann überhaupt nicht sein.

00:34:34: Und was ist denn jetzt passiert mit mir?

00:34:38: Und hab dann dieses Bett und da war so eine blau-weißkarierte Bettwäsche.

00:34:46: Da war ein Kopfkissen, das war so hart, dass ich mit der Faust reingedrückt hab, um überhaupt meinen Kopf da reinzulegen.

00:34:55: Es war alles ganz furchtbar.

00:34:58: Obwohl Johanna total erschöpft ist, kann sie nicht einschlafen.

00:35:02: Tausend Gedanken quälen sie und dann ist da diese Angst, die Angst vor dem, was noch kommen kann.

00:35:08: Und dann dieses fremde Zimmer, diese Zelle, die fremden Geräusche und der unangenehme Geruch.

00:35:14: Immer widerspringt Johanna von ihrer Pritsche auf, weil sie merkt, dass sie nicht atmen kann.

00:35:19: Aber dann, es ist schon morgen, beruhigt Johanna sich doch ein kleines bisschen.

00:35:25: Ich hab gedacht, das kann alles nur ein Missverständnis sein.

00:35:28: Das kann nicht sein, dass ich mit meiner positiven Entwicklung in der DDR eigentlich in so einer Gefängniszelle lande.

00:35:40: Das kann nur ein Missverständnis sein.

00:35:43: Und darauf hab ich auch gehofft.

00:35:47: Aber am folgenden Tag muss Johanna feststellen, das hier ist kein Missverständnis.

00:35:52: Das ist ... absoluter Ernst.

00:35:55: Denn sie wird wieder in den Verhörraum gebracht und über viele Stunden lang befragt.

00:35:59: Namen, die Stasi-Mitarbeiter, die wollen immer wieder Namen von ihr hören.

00:36:03: Namen von Freunden und Studienkollegen, die in Matthias Fluchtpläne eingeweiht waren.

00:36:07: Und natürlich weiß Johanna, wer alles eingeweiht war, sie kennt Matthias Freunde und bekannte ja sehr gut.

00:36:13: Aber Johanna schweigt.

00:36:14: Und Johanna ist nun mal keine Freiheitskämpferin.

00:36:18: Sie ist keine Heldin, die sich jetzt aufopfert oder irgendwie so aktiv Widerstand leistet, so wie man das dann aus Filmen kennt.

00:36:26: Nein, sie ist eine ganz verunsicherte und verschüchterte junge Frau, die auch an diesem zweiten Tag Eigentlich die ganze Zeit in diesem Verhör nur bitterlich weint und das Verhör dauert wieder lange, wieder bis zum Abend.

00:36:39: Johanna ist völlig überfordert und sie will niemanden in Schwierigkeiten bringen und deshalb nennt sie auch dieses mal keinen einzigen Namen.

00:36:48: Auch an diesem zweiten Abend darf Johanna nicht nach Hause.

00:36:51: Sie wird wieder in ihre Zelle gebracht.

00:36:55: Und das war ganz schlimm.

00:36:57: Da war ein kleines Fenster oben, aber das war kein Fenster.

00:37:01: Das war so mit so Glas, mit Draht drin.

00:37:07: Und da war so versetzt so Metallstangen.

00:37:11: Also man konnte auch den Himmel nicht sehen.

00:37:15: Also es war ganz furchtbar in der Zelle.

00:37:18: Es war ein kleines Waschbecken rechts und eine Toilette.

00:37:22: Und auf der rechten Seite halt ein Bett und auf der linken Seite ein Bett.

00:37:28: und kleine Randbemerkung.

00:37:30: Also ihr müsst jetzt nicht befürchten, dass das jetzt hier der Diepe Politik Spurlos-Podcast heute wird.

00:37:36: Die Geschichte wird noch sehr zwischenmenschig und eigentlich in ihrer typische Spurlos-Geschichte.

00:37:42: Aber eine Bemerkung sei mir noch erlaubt an der Stelle.

00:37:47: Man denkt vielleicht, gerade wenn man junger ist, das ist aus einer Zeit, die Millionen Lichtjahre her ist, wie in die Tribute vom Panem in so einer unwirklichen Welt.

00:37:57: Das ist eigentlich einfach nur ein System, das so funktioniert, wenn Demokratie wegbricht.

00:38:03: Und wenn wir heute auf die Welt gucken, bricht an vielen Stellen Demokratie immer mehr weg und gerät in Gefahr.

00:38:12: Und dann kann genau das passieren, dann können da Menschen an die Macht, die andere Menschen der Willkür aussetzen und dann Kann man sich schnell in willkürlichen Situationen befinden und der Staat tut auf einmal Dinge, von denen du vorher gedacht hast, das kann doch nicht sein.

00:38:34: Daran muss ich bei dieser Geschichte auch gerade denken.

00:38:37: Aber jetzt zurück natürlich zu Johanna.

00:38:40: Johanna darf in dieser Situation niemanden anrufen, also auch so ein Grundrecht in der Demokratie.

00:38:46: Du rufst wenigstens deine Eltern an.

00:38:48: Nein, du rufst deine Eltern nicht an, deine Freunde nicht.

00:38:51: Und ein Anwalt bekommt sie natürlich auch nicht.

00:38:53: Sie ist allein und isoliert.

00:38:56: Das geht jetzt über viele Tage so.

00:38:58: Jeden Morgen wird Johanna abgeholt, ins Zimmer gebracht, ins Verhörzimmer.

00:39:02: Da wird sie stundenlang verhört.

00:39:05: Was wäre denn eigentlich mit Johanna passiert, fragt man sich ja da, wenn sie jetzt die Namen der Mitwisser genannt hätte.

00:39:11: Hätte ihr das jetzt ein Vorteil verschafft?

00:39:13: Wahrscheinlich nicht.

00:39:14: Johanna weiß, dass sie wahrscheinlich sowieso angeklagt wird.

00:39:17: Und zwar wegen Nichtanzeige einer geplanten Republikflucht, so heißt das, und Vorbereitung zum illegalen Grenzübertritt.

00:39:24: So lautet der Vorwurf, das haben ihr die Stasi-Mitarbeiter schon gesagt.

00:39:28: Die hatten immer ganz tolle Namen für diese angeblichen Verbrechen.

00:39:32: Das ist total absurd, also sie hat nichts vorbereitet, sie hat niemandem irgendwie geholfen, sie wusste nur etwas, mehr nicht.

00:39:38: Aber dieses Wissen war eben brandgefährlich, das ist Johanna jetzt klar und der Druck wird natürlich immer größer.

00:39:47: Ich hatte unheimliche Angst.

00:39:49: Und wenn man da halt nicht kooperiert hatte mit diesen Vernehmern, da wurden auch Drohungen ausgesprochen, dann hatte ich einfach Angst, dass ich meine Familie belaste durch diese ganze Situation.

00:40:05: Das war am schlimmsten.

00:40:07: Ich hab eigentlich meinen Eltern eigentlich immer Freude bereitet, aber dann halt nicht mehr.

00:40:16: Ja, da spürt man jetzt auch, wie angefasst sie immer noch ist, logischerweise, wenn sie davon erzählt.

00:40:21: Ja, inzwischen ist sie da schon vier Wochen in dieser Situation.

00:40:25: Vier Wochen, in die er jeder Tag gleich aussieht.

00:40:27: Sechs Uhr morgens bekommt sie ein kleines Frühstück.

00:40:30: Dann muss sie Bett an die Wand hochklappen und da irgendwie festmachen.

00:40:34: Acht Uhr wird sie abgeholt zum Tagesvorher.

00:41:01: Nach vier Wochen in der Untersuchungshaft darf Johanna das erste Mal einen Brief an ihre Eltern schreiben.

00:41:06: Die Regel lautet, Alle vier Wochen darf sie einen Brief schreiben und einen Brief erhalten.

00:41:13: Auch das einem Brief in vier Wochen ist ja schon lachhaft und auch da steckt ja was dahinter.

00:41:19: Die haben natürlich gehofft, dass du dann nach diesen vier schrecklichen Wochen irgendwas rauslässt.

00:41:25: Weil alles wurde ja logischerweise gelesen.

00:41:27: Also war ja kein echter Austausch.

00:41:29: ein Intimer mit den Eltern oder so, sondern es wurde alles von denen gelesen, auch nur in der Hoffnung, diese Erlaubnis des Briefeschreibens, vielleicht verrät sie da ja irgendwas.

00:41:39: Genau, und diese Isolation und diese komplette Überwachung, die quälen Johanna immer mehr.

00:41:45: Sie hat vom ersten Tag an unter den Bedingungen in der Untersuchungshaft gelitten, aber jetzt kann sie es kaum noch aushalten.

00:41:52: Diese stundenlang Verhöre und dann dieses Alleinsein in der Zelle mit dem klein vergitterten Fenster.

00:41:59: Und natürlich immer diese Angst vor dem nächsten Verhör und vor der Anklage dann, vor dem, was da noch kommen kann.

00:42:05: Johanna weint sehr viel manchmal stundenlang, sie fällt regelrecht in sich zusammen, so kann man es vielleicht ausdrücken.

00:42:13: Sie merkt einfach, dass sie überhaupt keine Kraft mehr hat.

00:42:16: Nachts schläft sie da auf dieser Pritsche, auf diesem harten Kissen mit dem karierten Bezug.

00:42:22: Das tut sie sich manchmal vor das Gesicht, damit die Werte draußen ihr Schluchts nicht hören.

00:42:27: Und auch manchmal schreie, weil sie die Angst kaum noch aushalten kann.

00:42:32: Aber dann passiert etwas, womit Johanna nicht gerechnet hätte.

00:42:38: Eines Abends wurde die Tür aufgeschlossen und es kam eine andere Person noch mit in die Zelle.

00:42:44: Und diese Person war irgendwie sprühtet.

00:42:50: Trotzdem, dass sie in diese Zelle kam, voller Lebensenergie.

00:42:55: Der ihr erster Satz war, so eine Scheiße, die haben mich geschnappt bei der Flucht.

00:43:02: Wie kannst du es vorstellen?

00:43:03: Das sitzt Johanna seit Wochen ganz isoliert in dieser Zelle.

00:43:06: Tag für Tag stundenlang wird verhört.

00:43:09: Psychodruck ist verzweifelt am Ende mit ihren Kräften, findet kaum noch die Energie aufzustehen.

00:43:16: Und plötzlich fliegt diese Tür auf, eine Frau rauscht da rein und poltert los.

00:43:22: Scheiße, die haben mich geschnappt.

00:43:26: Völlig verrückt.

00:43:28: Die Fremde lässt sich auf einen der beiden Stühle in der Zelle fallen und ohne eine Pause beginnt sie zu erzählen.

00:43:33: Und zwar völlig ungerührt fast so, als wäre diese ganze Situation hier das Normalste auf der Welt.

00:43:42: Auf jeden Fall ist sie geschnappt worden und gleich in das Gefängnis gekommen.

00:43:46: Und das war, schien ihr nicht besonders viel auszumachen.

00:43:52: Sie hat gesagt, ich hab mit der DDR abgeschlossen.

00:43:55: Ich komm hier raus und ich komm in den Westen.

00:43:59: Ja, ist so ein ganz anderer Typ Mensch als sie selber.

00:44:02: Johanna betrachtet diese Fremde erst mal mit einer Mischung aus Angst und auch Misstrauen.

00:44:07: Sie ist vielleicht Anfang Reißig, hat dunkle, kinlange Haare und ist recht klein.

00:44:12: Jetzt beginnt die Frau, sich in der Karlenzelle umzusehen.

00:44:15: Sie betrachtet die grünen Wände, den wackeligen Tisch und die beiden Stühle.

00:44:20: Dann bleibt ihr Blick an Johanna hängen.

00:44:22: Für einen Moment ist es dann mal ganz still und dann, fast wie aus dem Nichts, lacht die Frau.

00:44:28: Sie lacht Johanna an, so wie man jemanden auf der Straße trifft, den man ewig nicht gesehen hat und sich irrsinnig freut, ihn wiederzusehen.

00:44:37: Ihr Lachen ist richtig übermütig und herzlich und es wirkt in dieser Situation hier schon fast umpassend.

00:44:45: Sie hat sich mir vorgestellt als Ille.

00:44:48: Das war ihr Spitzenorme.

00:44:51: Ich glaube, sie hieß Ilse mit Vornamen.

00:44:54: Aber ja, man hat sich natürlich nicht vorgestellt in der Zelle.

00:44:59: Aber sie war im Gegensatz zu mir total optimistisch in dieser ganzen Situation.

00:45:08: Und das war für mich wie so ein Erwachen.

00:45:14: Johanna kann es nicht fassen.

00:45:15: Diese Ille, die kommt ihr wie ein Wunder vor.

00:45:17: Und Ille erzählt, sie arbeitet bei der DEFA, bei der größten Filmgesellschaft DDDR.

00:45:23: Ille ist in den Filmstudios in Babelsberg beschäftigt und an diesem Vormittag, so sagt sie es, hat sie noch dort gearbeitet, irgendwo zwischen Kulissen, Kameras und Krabbeln.

00:45:33: Ihre Flucht in den Westen war für den Nachmittag geplant, direkt nach der Arbeit.

00:45:38: Wie genau Ille das alles geplant hatte, das verrät sie Johanna nicht.

00:45:42: Nur so viel, etwas ging schief.

00:45:45: Sie wurde aufgegriffen, verhaftet und direkt hierher gebracht in diese Untersuchungshaftanstalt.

00:45:52: Und nun sitzt sie hier in dieser Karlenzelle und damit mitten in Johannesleben.

00:45:58: Die Ille, die war eine lustige, optimistische Person, jemand, der sich nicht unterkriegen lässt.

00:46:06: Jemand, der auch in allen möglichen schlimmen Situationen irgendwie Auswege gesehen hat.

00:46:14: Und während ich bekümmert und traurig in der Einzelhafte alleine saß und ich wusste, was ich machen sollte und immer nur geweint habe und traurig war, war die Ille dann jemand, der mir den Lebensmut zurückgegeben hat.

00:46:33: Die sagt, hör auf, so pessimistisch zu sein, denk lieber dran, was du alles noch machen kannst, wenn du dann wieder verhalten bist.

00:46:42: Die Tage gehen genauso weiter wie die Monate zuvor.

00:46:45: Johanna wird morgens zum Verhör abgeholt und abends in ihre Zelle zurückgebracht.

00:46:50: Aber dort ist sie jetzt nicht mehr allein.

00:46:52: Dort ist jetzt Ille.

00:46:54: Und Ille, die hat ein bisschen Geld in das Gefängnis geschmuggelt und das investiert sie jetzt direkt.

00:47:01: Und eine der Werterinnen hilft ihr dabei.

00:47:05: Da hat die Elle gesagt, ich nehme mir für meinem Geld Zigaretten und wenn ich eine Zigarette habe und hin und her laufe, dann denke ich darüber nach, wie mein Leben später sein wird.

00:47:17: Und dann habe ich auch angefangen zu rauchen und das sind ja hin und her gelaufen, manchmal ohne viel oder überhaupt nichts zu sagen und haben uns überlegt, wie unser Leben vielleicht doch mal wieder besser sein könnte.

00:47:33: Weißt du was, diese Frau bringt etwas mit, was der Johanna jetzt auch so richtig gut tut.

00:47:38: Und über das Thema wird auch gerade viel gesprochen.

00:47:41: Sie ist das Symbol dafür, sie ist resilient.

00:47:44: Also Widerstandskräfte, ja.

00:47:47: Das bringt die mit, diese Faktoren, die du brauchst.

00:47:50: Einfach, okay, ich bin jetzt in dieser schrecklichen Situation, aber zack, ich denke nach vorne, welche Lösungen gibt's, wie kann ich mir das Leben besser machen?

00:47:58: Das ist super.

00:47:59: Also wenn das jemand hat, das ist ja ... Ich glaube, fast schon Natur gegeben.

00:48:03: Keine Ahnung, ob man sich Resilienz antrainieren kann.

00:48:05: Aber sie hat's und sie gibt auch noch davon ab.

00:48:08: Genau.

00:48:08: Und sie bringt es Johanna bei, diesen Mut nach vorne zu schauen und zu träumen und es sich besser vorzustellen.

00:48:13: So eine Freundin wie Ille braucht eigentlich jeder.

00:48:16: Johanna und Ille werden hier in der Untersuchungshaft in Panko nie mit ihren richtigen Namen angesprochen.

00:48:21: Sie sitzen in Zelle eighty-seven.

00:48:24: Und wenn sie gerufen werden, heißt es immer nur eighty-seven links mitkommen oder eighty-seven rechts zum Verhör.

00:48:31: Siebenundachtzig links, das ist Ille, denn sie schläft auf dem Clubbed, auf der linken Seite der Zelle.

00:48:36: und Siebenundachtzig rechts, das ist natürlich Johanna.

00:48:40: Und Ille möchte nie über die Vergangenheit sprechen.

00:48:44: Weder über Johannes Vergangenheit, noch über ihre eigene.

00:48:47: Ja, das passt auch wieder zu ihr.

00:48:48: Was sagt sie?

00:48:49: Wir müssen nach vorne schauen, Johanna, sagt sie immer.

00:48:51: Wenn Johanna etwas wissen will über sie, wo sie herkommt, wer die Eltern sind, wie sie aufgewachsen ist, Ille winkt einfach ab.

00:48:59: Wen interessiert das, Johanna?

00:49:01: Wir schauen nach vorne.

00:49:03: An der Seite von Ille wächst Johanna über sich hinaus.

00:49:06: Sie lacht, sie träumt und sie macht Pläne für ihre Zukunft.

00:49:10: Und sie schwimmt sich frei.

00:49:13: Dann haben wir ja immer diese vorsparen Suppen gekriegt.

00:49:16: Die konnte man kaum essen.

00:49:18: Da hat sie irgendwann gesagt, es waren so Blächenäpfer, da hat sie gesagt, ich könnte diese Suppe jetzt an die Wand werfen.

00:49:28: Und als sie das gesagt habe, habe ich diesen Suppentopf genommen und habe den an diese Tür, an diese Metall-Tür geworfen.

00:49:36: Da war diese Scheiß-Suppe, die lag dann am Boden und der Napfen mit.

00:49:41: Und das fand mir dann befreiend.

00:49:43: Hörst du das?

00:49:45: Hier sich auch ihre Stimme jetzt verändert, wenn sie davon erzählt.

00:49:48: Und seit dieser Illefreundschaft, ich finde es so cool, also diese unsichere, zerbrechliche Johanna, die wochenlang durchgeweint hat, die schmeißt jetzt ihre Suppe an die Wand.

00:49:58: Wie herrlich ist das?

00:50:00: Man hört das einfach, was die Ille da voll bringt gerade.

00:50:04: Ja.

00:50:05: Ille ist aber nicht nur eine Quelle unerschütterlicher Energie.

00:50:09: Sie ist jetzt nicht nur lustig und motivierend, sondern sie kennt sich auch sehr gut aus in allen rechtlichen Fragen rund um das Thema Republikflucht.

00:50:18: Sie erzählt Johanna, dass es einen sehr einflussreichen Anwalt in der DDR gibt, der sich um politische Häftlinge wie sie kümmert.

00:50:26: Dieser Anwalt heißt Wolfgang Vogel.

00:50:29: Wolfgang Vogel hatte bereits in two-hundertsechzig den berühmten Agentenaustausch zwischen Ost und West auf der Kliniker Brücke organisiert.

00:50:38: Ein sowjetischer Spion wurde damals gegen einen amerikanischen Piloten getauscht und vermittelt hatte das alles der Anwalt Wolfgang Vogel.

00:50:47: Und jetzt ist Wolfgang Vogel mit dem Freikauf politischer Heftlinger betraut?

00:50:53: Das ist ein sehr einträgliches Geschäft für die DDR.

00:50:55: Die Bundesrepublik Deutschland zahlt für Heftlinge, die in der DDR als politische Gefangene gelten.

00:51:02: Also sie kauft sie sozusagen frei und holt sie in den Westen.

00:51:06: Die DDR wiederum nimmt das Geld dankbar an, denn sie ist dringend auf diese Deviesen angewiesen.

00:51:11: Ja, also sagen wir mal wie es ist, Menschenhandel war das gegen harte Westwährung.

00:51:17: Genau.

00:51:18: Tausende Regimegegner, die wegen Fluchtversuchen, Widerstandsaktionen oder politischer Betätigung in der DDR in Haft saßen, die wurden schon freigekauft und in die Bundesrepublik gebracht.

00:51:30: Und dieser Rechtsanwalt, Wolfgang Vogel, der steht im Zentrum dieses Systems.

00:51:35: Er verhandelt, er vermittelt und er organisiert diese Freikäufe.

00:51:40: Und natürlich haben sie das schön alles geheim gehalten.

00:51:43: Die Behörden haben ja jetzt gar kein Interesse daran gehabt, dass diese Gefangenentransporte in den Westen, also in die Freiheit zum bösen Staatsfeind, das es publik wird.

00:51:53: Aber Ele weiß davon, woher auch immer.

00:51:56: Und nun weiß es auch Johanna.

00:51:58: Noch nutzt Johanna dieses Wissen nicht konkret, denn sie befindet sich ja immer noch in U-Haft.

00:52:03: Das bedeutet, sie ist keine bisher verurteilte politische Gefangene.

00:52:08: Nur verurteilte Gefangene können freigekauft werden.

00:52:12: Und wie sie jetzt mit diesem Wolfgang Vogel aus der Haftanstalt heraus Kontakt aufnehmen kann, das weiß sie auch nicht.

00:52:18: Aber irgendwie hat Johanna das Gefühl, dass es jetzt so ein bisschen Hoffnung gibt.

00:52:23: In der Haftanstalt läuft der Alltag weiter.

00:52:26: Den Tag überfinden immer noch die Verhöre statt, sie ziehen sich endlos hin.

00:52:30: Und abends, abends spazieren Ille und Johanna rauchend durch ihre kleine Zelle und die beiden Freundinnen malen sich ihre perfekte Zukunft aus.

00:52:39: Johanna träumt von herrlichen Reisen, von einem wunderbaren Beruf, vielleicht Lehrerin.

00:52:44: Sie träumt natürlich von der Liebe und vor allem von der Freiheit.

00:52:48: Und eines Tages kommt Illes Mutter zu Besuch in die Haftanstalt.

00:52:52: Ille hatte sich gewünscht, dass ihre Mutter ihr einen Brathuhn mitbringt.

00:52:56: Einen Bräuler, wie es hier heißt.

00:52:58: Und dieses Brathuhn darf sie im Besuchsraum, im Beisein der Mutter und der Werterin auch essen.

00:53:07: Sie hat sich von ihrer Mutter verabschiedet und sie hat dieses große Stück Brustfleisch in ihren Mund genommen und hat das mit hoch in die Zelle gebracht.

00:53:17: Und das hat sie für mich mitgebracht in die Zelle.

00:53:20: Und das klingt vielleicht für die meisten Leute furchtbar eklig.

00:53:24: Für mich war das in den acht Monaten u-haft.

00:53:28: Ich habe das abgewaschen und dann gegessen.

00:53:32: Das war das köstlichste, was ich jemals hatte.

00:53:35: Und das war die Ille.

00:53:36: Die hat im Mund, hat die für mich Essen mitgebracht.

00:53:40: Wahnsinn.

00:53:42: Ich finde die Geschichte gar nicht eklig, mich berührt die Geschichte.

00:53:46: Das zeigt halt auch, was zwischen den beiden Freundschaft bedeutet hat.

00:53:49: Die hat das jetzt nicht alles für sich da reingefuttert, sondern sie hat dann sozusagen das Beste für ihre Freundin aufgehoben.

00:53:56: Und diese Lebensfreude und eben diese Resilienz, diese Widerstandskraft, die sie so mitbringt, das überträgt sich.

00:54:02: Also ich finde, das überträgt sich auch auf mich, wahrscheinlich auch auf dich beim Erzählen und was so wichtig ist auf die Johanna.

00:54:10: Und auch Johannes Mutter darf endlich zu Besuch kommen.

00:54:12: Und Johanna bittet ihre Mutter bei dem Treffen im Besuchsraum, mit dem Rechtsanwalt Wolfgang Vogelkontakt aufzunehmen.

00:54:20: Das macht sie natürlich nicht offen.

00:54:21: Das geht nicht, weil immer eine Werterin im Besuchszimmer sitzt und streng überwacht, was gesprochen wird.

00:54:27: Stattdessen verpackt Johanna ihre Bitte in Andeutungen und sie hofft, dass ihre Mutter sie versteht.

00:54:34: Fast ein Jahr lang war Johanna in Untersuchungshaft.

00:54:37: Ein Jahr lang hat sie jeden Tag im Verhörraum gesessen und sie hat, ein Jahr lang, keinen Namen genannt.

00:54:44: Dann findet im November nineteenhundertseinundsiebzig der Prozess gegen sie statt.

00:54:48: Die Anklage lautet, wie erwartet.

00:54:50: Nicht Anzeige einer geplanten Republikflucht und Vorbereitung zum illegalen Grenzübertritt.

00:54:56: Heute erinnert sich Johanna kaum noch an die Details dieser Prozesttage.

00:55:00: Aber irgendwann hört sie, dass das Urteil gesprochen wurde.

00:55:04: Johanna wird für's Schuldig befunden.

00:55:08: Wurde mir gesagt, sie kommen jetzt mit und ich konnte gar nicht noch mal zurück in die Zelle.

00:55:14: Die haben mir dann die Sachen, die ich in so einem kleinen Schrank hatte geholt und ich bin gleich in so ein Barkas, wo keine Fenster waren.

00:55:25: Das ist so ein kleiner Bus und da waren mehrere gefangenen drin und wir wurden von Berlin nach Hoheneck gebracht.

00:55:33: Es geht alles so schnell.

00:55:35: Johanna wird direkt aus dem Gerichtsaal, direkt zum Wagen gebracht.

00:55:38: Sie hat keine Chance, sich von Ille zu verabschieden.

00:55:41: In Hoheneck trifft Johanna auf die volle Brutalität der Haftbedingungen in der DDR.

00:55:47: Etwa ein-tausend sech-hundert Frauen sind hier inhaftiert.

00:55:50: Politische Gefangene wie Johanna, aber auch Gewaltverbrecherinnen.

00:55:53: Unter ihnen sind auch Frauen, die wegen Mordes verurteilt wurden.

00:55:57: Militärischer Drill gehört in hohen Eck zum Alltag.

00:56:00: Schläge, Beschimpfungen, Schikan, all das ist Teil eines Systems, das nicht nur bestrafen, sondern brechen will.

00:56:07: Und die Strafen sind trakonisch.

00:56:09: Für geringste Verstöße, ein falsches Wort, ein unsorberes Bett, ein Moment der Schwäche, droht Arrest in der Dunkelzelle.

00:56:17: Ja, sie sollen dort gebrochen werden, diese Frauen, aber Johanna ist jetzt eine andere als früher.

00:56:23: Sie ist nicht mehr die ängstliche junge Frau, die tagelang weint und die keine Hoffnung hat.

00:56:29: Dank Ille und dieser Freundschaft mit Ille ist Johanna zu einer Frau geworden, die weiß, wer sie ist und die entschlossen ist, sich hier in Hoheneck nicht brechen zu lassen.

00:56:42: Im Gegensatz zu ihrer Zeit in der Untersuchungshaft muss Johanna in Hoheneck, wie auch alle anderen Gefangenen, arbeiten.

00:56:49: Die Frauen hier von den Nylonstrumpfhosen, sie fedeln die Netze in Federballschläge ein oder sie bohren Metallteile an, um sie für die Weiterverarbeitung vorzubereiten.

00:56:59: Johanna hält immer Ausschau nach Ille.

00:57:02: Und manchmal fragt sie ihre Mitgefangenen, ob sie wüssten, ob eine Ille hier in Hoheneck eingetroffen sei.

00:57:08: Aber niemand hat etwas gehört.

00:57:10: Ille bleibt verschwunden.

00:57:12: Johanna macht sich Sorgen.

00:57:13: Sie fragt sich jeden Tag, was mit Ille geschehen sein könnte und ob sie ihre Freundin jemals wiedersehen wird.

00:57:20: Im März hat Johanna Geburtstag.

00:57:23: Sie wird einundzwanzig Jahre alt.

00:57:25: Es ist ihr zweiter Geburtstag in Haft.

00:57:28: Und an diesem Tag passiert plötzlich etwas völlig Unerwartetes.

00:57:32: Eine Gefangene, die Johanna noch nie zuvor gesehen hat, spricht sie an.

00:57:37: Sie hat mir was gegeben.

00:57:38: Das war irgendwie im Papier.

00:57:41: Es gab ja keine Servietten oder was.

00:57:44: Und sagt, das ist von der Ille.

00:57:46: Viele Grüße von der Ille.

00:57:48: Und da habe ich gewusst, die Ille ist auch da.

00:57:50: Und da hat die mir eine kleine Torte zukommen lassen.

00:57:54: Die hat sie aus Zwieback oder ... gemacht mit Margarine und Marmeladen.

00:58:00: Und so was hört sich wahrscheinlich für jemand, der das nicht erlebt hat, eklig an.

00:58:05: Es war eine kleine Köstlichkeit, wie so ein kleines Törtchen.

00:58:09: Und das ist das Letzte, was ich von ihr gehört habe.

00:58:13: Also erstmal diese Geste.

00:58:15: So schön.

00:58:15: Kannst du vorstellen, was das in der Situation bedeutet an einem Geburtstag?

00:58:18: Unglaublich.

00:58:19: Unglaublich.

00:58:20: Und andererseits, ja, das bedeutet, Ille ist da irgendwo, aber wir müssen uns das wirklich vorstellen.

00:58:24: Da waren ein Tausend Sechshundert Frauen, viele wahrscheinlich auch in Einzelhaft.

00:58:29: Also man konnte sich da nicht zwangsläufig begegnen.

00:58:32: Also eigentlich richtig schrecklich, sie weiß, sie ist da und sie hat trotzdem keinen Kontakt zu ihr haben können.

00:58:39: Johanna hat inzwischen über ihrem Mutterkontakt zu dem Rechtsanwalt Wolfgang Vogel und seinem Team aufnehmen können.

00:58:46: Und sie hat einen Ausreiseantrag gestellt.

00:58:49: Diese Ausreiseanträge von politischen Häftlingen sind die Grundlage für einen Freikauf durch die Bundesrepublik.

00:58:57: Dann kam auch meine Mutter noch mal zu Besuch.

00:59:01: Und in dem Raum, in dem Gesprächsraum durfte ich sie eigentlich nicht... anfassen oder umarmen und so.

00:59:11: Und am Schluss habe ich aber das doch gemacht.

00:59:14: Ich bin um den Tisch rumgerannt und habe meine Mutter umarmt und habe ihr ins Ohr gesagt, dass ich einen Antrag gestellt habe.

00:59:23: Da wussten also meine Eltern, dass ich vielleicht rauskomme.

00:59:29: Ja, die Erinnerungen, die sitzen alle natürlich sehr tief.

00:59:34: Johanna ist nun seit eineinhalb Jahren in Haft.

00:59:37: Erst war sie in Untersuchungshaft in Berlin-Pankow.

00:59:40: Und nun ist sie als politische Gefangene im Frauengefängnis Hoheneck.

00:59:45: Manchmal spürt Johanna, wie die Verzweiflung in ihr aufsteigt und dann verliert sie die Hoffnung, dass sich jemals etwas ändern könnte in ihrem Leben.

00:59:53: Aber in diesen Momenten denkt sie an Ille und das gibt ihr Kraft.

00:59:56: Aber dann ändert sich plötzlich alles in Johannes Leben.

00:59:59: Denn drei Wochen nach ihrem einundzwanzigsten Geburtstag überschlagen sich die Ereignisse.

01:00:07: Johanna steht an ihrem Arbeitsplatz, als eine Werterin auf sie zukommt.

01:00:12: Ohne Erklärung, sagt diese nur, sie kommen jetzt mit.

01:00:15: Johanna folgt ihr schweigend in einen Nebenraum.

01:00:18: Dort warten mehrere Mitarbeiter der Haftanstalt.

01:00:21: Die Mitteilung ist knapp und endgültig.

01:00:24: Johanna soll noch am selben Tag verlegt werden, in einer Haftanstalt in Karl-Marx-Stadt, dem heutigen Chemnitz.

01:00:31: Dort trifft Johanna noch am selben Abend ein.

01:00:34: Am folgenden Morgen wird sie in einen Verhöhrraum gebracht.

01:00:37: Die Mitarbeiter der Stasi wissen von Johannes Ausreiseantrag und sie fragen die einundzwanzigjährige, ob sie die DDR tatsächlich verlassen will.

01:00:46: Und Johanna antwortet, ja, ich will die DDR verlassen.

01:00:51: Am folgenden Tag fährt ein großer Reisebus in den Hof des Gefängnisses.

01:00:55: Johanna und neunundvierzig weitere Gefangene werden hinausgeführt.

01:01:00: Beim Einsteigen schaut sich Johanna immer wieder um.

01:01:03: Sie weiß, dass es unwahrscheinlich ist, ihre Freundin Ille unter den Ausreisenden zu finden.

01:01:09: Doch Johanna kann nicht anders.

01:01:11: Sie hofft, den Weg, der vor ihr liegt, gemeinsam mit Ille gehen zu können.

01:01:16: Aber Ille ist nicht da.

01:01:18: Die Türen des Buses schließen sich.

01:01:20: der Motor startet.

01:01:21: Die Fahrt dauert einige Stunden, bis der Bus plötzlich kurz vor der innerdeutschen Grenze, also noch in der DDR, hält.

01:01:29: Johanna hat Angst, dass sie hier im letzten Moment noch aufgehalten werden.

01:01:33: Die Bus-Tür öffnet sich und ein Mann steigt ein, stellt sich vorne neben dem Busfahrer und blickt die Reisenden an.

01:01:41: Dann beginnt er zu sprechen und er stellt sich vor.

01:01:43: Dieser Mann ist der Rechtsanwalt Wolfgang Vogel.

01:01:47: Er wünscht allen im Bus eine gute Zukunft und dann sagt er, sie sind jetzt frei.

01:01:53: Johanna legt die Hand vor den Mund.

01:01:55: Tränen laufen ihr über das Gesicht.

01:01:57: Wolfgang Vogel steigt aus und der Bus setzt sich wieder in Bewegung, über die Grenze hinweg, in die Bundesrepublik Deutschland.

01:02:07: Diese Nacht verbringt Johanna im Notaufnahmellager Gießen.

01:02:11: Am nächsten Tag kommen ihre Tanten, die in der Nähe wohnen und holen sie ab.

01:02:16: Ein neues Leben beginnt.

01:02:18: Doch der Preis der Freiheit ist hoch.

01:02:20: Es wird noch neunzehn Jahre dauern, bis Johanna ihre Familie und ihre Freunde im Osten wiedersehen darf.

01:02:27: Erst nach dem Fall der Mauer darf sie zurück in ihre alte Heimat.

01:02:38: Die Bundesrepublik hat zwischen neunzehnten und neunzehntenundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundund.

01:03:00: Und übrigens wurde auch die Freundin, mit der sie die Wohnung damals in Weißensee geteilt hat, damals frei gekauft.

01:03:07: Auch sie war wegen ihres Wissens und der Flucht von Matthias angeklagt worden.

01:03:12: Und auch sie war durch viele Monate des Horrors gegangen.

01:03:15: Johanna und die Freundin aus der Schulzeit, die haben einander dann wiedergefunden und bleiben von da an für immer in Kontakt.

01:03:23: Johanna findet sich im Westen schnell zurecht.

01:03:26: Sie wird tatsächlich Lehrerin.

01:03:28: Sie hatte sich das ja immer sehr gewünscht.

01:03:30: Und mit ihren Eltern hält sie erst mit Briefen und Kartenkontakt und später telefonisch.

01:03:35: Sag mal, wissen wir eigentlich, was aus Matthias geworden ist.

01:03:38: Hat der sich noch mal gemeldet, war der froh, dass die alle freigekommen sind, hatte sie im Westen begrüßt und gesagt, ich habe große Schuld auf mich geladen, ich Idiot.

01:03:47: Johanna hat nie mehr etwas von Matthias gehört.

01:03:50: Ja, okay.

01:03:52: Vielleicht fühlt sich ja jemand angesprochen, who knows.

01:03:55: Johanna hat später dann geheiratet und zwei Kinder bekommen und Alle Träume, die sie damals in der Untersuchungshaftanstalt Pankow gehabt hat, die sind eigentlich wahr geworden.

01:04:06: Johanna war immer eine sehr glückliche Mutter, berichtet sie.

01:04:10: Und sie hat sich jeden Tag aufs Neue gefreut, dass die Freiheit gekommen ist, dass sich alles bewahrheitet hat.

01:04:18: Johanna hat ihre Freundin Ille nie vergessen.

01:04:20: Sie hat sich immer wieder umgehört unter ehemaligen politischen Häftlingen, die in die Bundesrepublik gekommen waren.

01:04:27: Aber niemand konnte ihr Auskunft geben, niemand wusste etwas über Ille.

01:04:32: Ja, und dann hat sich Johanna an mit der Melde dich gewendet und dich um Hilfe gebeten.

01:04:37: Ja, aber das möchte ich vorwegnehmen.

01:04:40: Das ist heute eine Geschichte mit einem offenen Ende leider, denn auch wir konnten Ille nicht finden.

01:04:49: Also wir kannten noch nicht mehr ihren richtigen Vornamen, Nachname ganz zu schweigen.

01:04:55: Also Ille und Siemon-Achzig-Links, damit sind wir leider nicht weitergekommen.

01:05:00: Wir hatten kein Geburtsdatum, wir haben Keinerlei Hinweise auf Ihre Herkunft.

01:05:05: Sie wollte ja nie über die Vergangenheit sprechen.

01:05:07: Wir wollen nur nach vorne schauen, das hat sie immer gesagt zu Johanna.

01:05:10: Das hat sie gesagt, war auch total richtig in der Situation für eine Suche natürlich super und vorteilhaft.

01:05:17: Trotzdem haben wir alles versucht.

01:05:19: Wir haben mit den Archiven der DDR-Gefängnisse Kontakt aufgenommen.

01:05:23: Denn das Einzige, was wir verbindlich wussten, das war, dass Ille in Panko in der Zelle siebenundachtzig inhaftiert war und dass sie später nach Hoheneck gebracht worden war.

01:05:34: Aber auch in den Unterlagen der Archive.

01:05:36: war nichts zu finden.

01:05:37: Ille, das konnte jetzt wirklich für alles stehen.

01:05:39: Genau, und wir haben uns auf die wenigen Hinweise gestürzt, die wir hatten.

01:05:44: Das war natürlich auch die DEFA.

01:05:46: Da hat sie erzählt, dass sie damals dort gearbeitet hat.

01:05:49: Wir haben uns also an die ehemaligen Mitarbeiter der DEFA gewendet.

01:05:54: Aber eine Ille war dort niemanden einem Begriff.

01:05:57: Die DEFA, also die Filmstudios in Babelsberg damals, die hatte Tausende von Mitarbeitern und Johanna wusste nicht mehr, was Ille da jetzt eigentlich genau gemacht hat.

01:06:07: Ille hat Johannes Leben grundlegend verändert.

01:06:11: Ille ist einfach die Freundin, die Lebensfreundin, die Johanna bis heute sehr vermisst, der sie auch gerne danken würde.

01:06:25: danken für das, was sie für mich gemacht hat in dieser Zeit.

01:06:29: Sie war einfach nur da, sie war einfach nur optimistisch und lebensfroh und damit hat sie mir unheimlich geholfen.

01:06:37: Die hat mich in dieser Situation, hat die mir neuen Lebensmut gegeben und ich hätte diese ganze Zeit in der Urhaft nicht überstanden, wenn ich nicht die Ille in der Zelle gehabt hätte.

01:06:54: Und deswegen ist es mir unheimlich wichtig zu wissen, was aus ihr geworden ist.

01:06:59: Und ich hätte gern, das hätte ich gern gewusst, ob es ihr auch so gut ergangen ist wie mir.

01:07:08: Das kann ich sehr gut verstehen.

01:07:10: Ja, für uns ist es immer schwierig, wenn wir eine Suche erfolglos abbrechen müssen.

01:07:15: Ja, das stimmt.

01:07:17: Aber wir wollten natürlich diese Geschichte von Johanna und Ille trotzdem erzählen.

01:07:22: Eine Geschichte von Freundschaft, vor allem eine Geschichte einer Begegnung, die alles verändert hat für einen Menschen.

01:07:28: Sie hat Johanna befreit und zu der Frau werden lassen, die sie bis heute ist.

01:07:34: Und ich könnte mir auch richtig gut vorstellen, dass Ille noch vielen Menschen auf dem Weg dort geholfen hat.

01:07:40: wahrscheinlich in hohen Eck oder auch wo immer sie später war mit ihrer widerstandskräftigen, charmanten, warmherzigen Art mit diesem guten Trotz, da hat sie bestimmt Menschen weiter geholfen.

01:07:55: Es sollte also vielleicht, vielleicht gibt es die Hoffnung, jemand von euch, jemanden kennen, der von so einer Ille schon mal erzählt hat oder ihr habt was über diese Ille gehört oder ihr kennt sie.

01:08:07: Wie auch immer, dann meldet euch bitte bei uns.

01:08:10: Ille, das war eine ganz besondere Frau, die da in dieser dunklen Zeit, glaube ich, regelrecht Licht gebracht hat.

01:08:19: Und ich hoffe, wir nehmen uns heute so ein Stückchen von diesem Ille-Spirit, von diesem Geist so mit.

01:08:26: Also mir geht es gerade so, das kann jeder gut gebrauchen und jeder sollte sich da vielleicht so ein Scheibchen abschneiden.

01:08:33: Sollen wir so rausgehen aus der Geschichte, ist das gut?

01:08:35: So gehen wir raus, ein wunderbares Ende.

01:08:37: Ja, das ist gut.

01:08:39: Sylvie, vielen Dank fürs miterzählen.

01:08:41: Ja auch.

01:08:42: Wenn ihr unseren Podcast und die verschiedenen Geschichten mögt, lasst uns gerne eine gute Bewertung da auf euren Portalen, darüber freuen wir uns natürlich.

01:08:51: Und wenn ihr uns schreiben möchtet, dann gerne an Info at spurlospodcast.de.

01:08:57: Und alle weiteren Informationen findet ihr in den Shownotes.

01:09:01: Danken euch fürs Zuhören.

01:09:03: Bis ganz bald und passt aufeinander auf.

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